Schreiben
Der Schriftsteller wählt für die Übertragung seiner Idee nicht die äußere Abbildung, sondern versteckt sie in einer Codierung von Zeichen. Das Zusammenspiel der Zeichen schmuggelt eine Information ins Innere des Lesers, und bildet erst dort nach und nach eine innere Gestalt. Lesen ist weniger eine Erfahrung durch die Sinne als innerhalb der Sinne. Dieser scheinbar triviale Gedanke hat weitreichende Folgen für den Entstehungsprozess von Literatur.
Von außen betrachtet, beschränkt sich die Bewegung eines Schriftstellers auf wenige Teile seines Oberkörpers. Unter den Künstlern, so eine gängige Vorstellung, nimmt er die intellektuellste Stellung ein. Körperliche Techniken zur Artikulation seiner Geschichte kann er vernachlässigen, denn die eigentliche Tätigkeit ist für sein Publikum unbedeutend, und für die Erzählung scheint unwichtig, wie er einen Stift hält oder seine Tastatur berührt. Die wenigsten ahnen, wie sehr sein Nervensystem beim Schreiben beansprucht wird, wie fordernd die emotionale Bindung innerhalb dieses Prozesses sein kann. Während er am Text sitzt, fließt sämtliche innere Bewegung aus dem Körper in die nächste Zeile. Stundenlang befindet er sich in einem Zustand gelenkter Aufmerksamkeit, manchmal im vollkommenen Selbstvergessen, manchmal in ständiger Reibung, manchmal wie auf einem Kreisel balancierend. Unbewegt, zurückhaltend erscheint der Akt des Schreibens; empfindungsreich, sinnenvoll ist er im Erleben. Der Schreibende selbst hat längst gemerkt, dass die Ideen eher kommen, wenn er in den Moment, in seinen Körper findet. Der Zutritt in diesen Raum ist zunächst jedoch kein selbstverständlicher Teil einer täglichen Routine; im Gegensatz zu anderen Künsten gestattet die schriftliche Fixierung einer Idee kaum, sich vor - oder aufzuwärmen und hineinzuschwingen, einer Partnerin zuzuwenden, ins Blaue zu werkeln oder zu klimpern; wenigstens einer Ahnung Form zu geben, um sie vor sich zu haben und auf´s Neue einzuhauchen. Die wechselwirkende Verbindung zwischen geistiger und körperlicher Bewegung, zwischen Wort und Tat, lässt sich im Feldenkrais erforschen und heranbitten. Unsere Geschichten bleiben dabei behütet, müssen nicht besprochen werden; wir klaren in erwachsender Wahrnehmung Empfindungen und Ahnungen auf und erhöhen die Wahrscheinlichkeit, dass sie in die Vorstellung hinaufgeborgen und von dort in Formulierung gegossen werden können. Innerhalb dieses Lernens entwickeln wir für unser eigenes Schreiben und seine Abläufe ungewohnte Wertschätzung und Widerstandskraft.